Heute jährt sich der Geburtstag Walter Kempowskis zum 90. Mal. Bekannt ist Kempowski vor allem als Autor seiner Familiengeschichte in der „Deutschen Chronik“ sowie als Herausgeber der Zeitzeugenstimmen zum Zweiten Weltkrieg in „Echolot“. Aber Kempowski war auch Kinderbuchautor und Lehrer. 1980 erschien im Westermann Verlag „Kempowskis Einfache Fibel“ für den Schulunterricht.
Beworben wurde das ambitionierte Lehrwerk damals als „andere“ Fibel. Neu war, dass Kempowski für diese Fibel Texte zusammentrug, die auf echten Erlebnissen beruhen: Als Lehrer hatte er sich von seinen Erstklässlern „ihre“ Geschichten erzählen lassen. Aus diesen formte er Fibeltexte, die dann der Karikaturist Manfred Limmroth illustrierte: Da fährt der Vater ein schönes Auto, die Mutter malt Bilder, der kleine Willi hat zu viel Zucker gegessen und deshalb jetzt Zahnschmerzen. Auch Beobachtungen über den wachsenden Autoverkehr, über die Nachbarn und über das Kranksein fließen ein.
Es sollte „eine Fibel wie ein Zuhause“ entstehen – ein „Experiment“, wie es in der Verlagsankündigung hieß. Limmroth hatte für seine Zeichnungen extra ein Wohnzimmer-Modell angefertigt, das ihm die rechten Maßstäbe lieferte. Dafür hatte er bewusst preiswerte Versandhausmöbel als Vorbild genommen, weil diese der Lebenswirklichkeit vieler Kinder entsprachen.
Ein Gutachten bescheinigte der Fibel damals ein „hohes Maß an emotionaler Ansprache und Motivierung“, bemängelte allerdings, dass die Fibel so ambitioniert starte, dass sie für schwächere Schülerinnen und Schüler um Hilfen ergänzt werden müsse.
„Kempowskis Einfache Fibel“ beginnt mit ganzen Worten und teilt diese erst später in Laute und Buchstaben auf. Damals wie heute ist wissenschaftlich nicht erwiesen, wie Schülerinnen und Schüler das Lesen und Schreiben am besten lernen: Lernen die Kinder Buchstabe für Buchstabe und fügen sie sie zu Silben und Worten zusammen? Werden sogenannte Ganzwörter eingeführt? Werden die Kinder ermuntert, nach Gehör und Lauttabelle zu schreiben? Kombiniert der Unterricht mehrerer dieser Ansätze? Damit Lehrerinnen und Lehrer die von ihnen bevorzugten Methoden im Unterricht umsetzen können, können sie heute auf eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien zurückgreifen.
Bei Westermann sind seit der Kempowski-Fibel viele weitere Fibeln und Lehrwerke für den Anfangsunterricht erschienen. Die bekanntesten sind „Fara und Fu“ und die „Bausteine Fibel“. Weitere wichtige Lehrwerke für das Lesen lernen sind „Flex und Flora“, „Karibu“, „Löwenzahn“ und „Pusteblume“.