Am 1. August 1998 trat eine der weitreichendsten und umstrittensten Rechtschreibreformen in Kraft. Heute, 20 Jahre später, sind die neuen Regeln weitgehend akzeptiert. Zwar gibt es immer noch Kritikpunkte, doch ist durch die Reform das Erlernen der Rechtschreibung prinzipiell deutlich leichter geworden.
„Die Anzahl der Regeln für Rechtschreibung und Zeichensetzung hat sich deutlich verringert“, sagt Andrea Watermeyer, Verlagsleiterin in der Westermann Gruppe, „das hilft Kindern sehr, die Rechtschreibung schneller zu lernen.“ Dabei kam die erste Fassung der Rechtschreibreform 1996 gar nicht gut an, viele Menschen empfanden sie als zu sehr vom Schreibgebrauch entfernt. Protest formierte sich im Herbst zur Frankfurter Buchmesse: Wissenschaftler und Schriftsteller forderten in der „Frankfurter Erklärung“ den Stopp der Reform. Einige renommierte Zeitungen und Zeitschriften behielten die bestehenden Rechtschreibregeln bei. In den Folgejahren kam es nicht zuletzt durch die massive Kritik zu einigen Nachbesserungen – und zu einer Reform der Reform, die 2006 umgesetzt wurde.
Die Schulbuchverlage hatten keine Wahl und mussten nach Beschluss der Reform im Jahr 1996 umgehend mit der Umsetzung beginnen. Sämtliche Titel waren zu überarbeiten und neu zu produzieren. „Nicht nur wurden alle Schulbücher, Arbeitshefte und Kopiervorlagen korrigiert“, erläutert Andrea Watermeyer, „unsere Autorenteams und Redaktionen mussten auch in Windeseile inhaltliche Überarbeitungen der Deutschbücher und der darin enthaltenen Rechtschreibkurse durchführen, schließlich sollte die veränderte Rechtschreibung auch vermittelt werden.“
Schwierigkeiten bereitete die Rechtschreibreform zunächst durch die neuen, ungewohnten Wahlmöglichkeiten bei Schreibweisen. Spaghetti und Spagetti – beides war nun richtig. Auch die Lehrkräfte waren gefordert, hierzu eine Haltung zu entwickeln. Wie sollte man die Schülertexte korrigieren, wenn so vieles möglich ist?
Für die Deutschbücher vor allem für die höheren Klassen ergab sich die Hürde, dass nicht wenige Autorinnen und Autoren – wie zum Beispiel Günter Grass und Loriot – den Abdruck ihrer Texte in neuer Rechtschreibung in Schulbüchern verweigerten. So erschienen deren Texte weiterhin in alter Rechtschreibung, ergänzt um den Hinweis, dass die Urheber einer Umstellung ihrer Texter widersprochen haben.
Dabei enthält die Rechtschreibreform nach dem heutigen Stand viele Vereinfachungen. So müssen Wörter mit ß nicht mehr als Einzelwörter erlernt werden. Stattdessen steht das ß nur noch nach langen Vokalen: der Fuß, aber der Fluss. Diese Veränderung haben die meisten Menschen inzwischen so verinnerlicht, dass man dem jetzt falschen daß nur noch selten in Schriftstücken begegnet. Und die Regel, nach der es dem st wehtut, wenn man es trennt, war dem längst nicht mehr verwendeten Bleisatz und den dabei verwendeten Ligaturen geschuldet – sie entfiel bei der Reform ersatzlos.
Für den Deutschunterricht ebnete die Rechtschreibreform den Weg, Sprache und Rechtschreibung zu verstehen und nicht als Bündel von Einzelfällen lernen zu müssen. „Inzwischen hat das strategische Rechtschreiblernen das Merk- und Regelwissen in der Didaktik abgelöst“, sagt Andrea Watermeyer, „heute geht es darum, Wörter und Sätze sowie ihre Strukturen zu verstehen, Analogien zu erkennen und sich so die korrekte Schreibung selbst herleiten zu können.“